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Informations- und Wissensdatenbank über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der deutschen Minderheit in der Slowakei

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Ratzersdorf (Rača)

Rača (deutsch Ratzersdorf, früher oft auch Ratschdorf, ungarisch: Récse) ist ein 1946 nach Bratislava eingemeindeter Stadtteil im Osten der Stadt mit ca. 21.000 Einwohnern.

Geschichte

Die erste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1226. In einer Schenkungsurkunde des ungarischen Königs Andreas II. wird sie Reche genannt. Aus dem Jahr 1274 ist die Form Racha bekannt. In der Zeit der Tatareneinfälle (um 1240) wurde das alte Dorf verwüstet. Neue Einwohner waren sowohl Slowaken als auch Deutsche. Die erste schriftliche Erwähnung der gotischen Kirche (heutige Form aus dem Jahre 1888) stammt aus dem 1390. Im Laufe der Geschichte gehörte Ratzersdorf verschiedenen adligen Familien (Reche, Thebener Herrschaft, Grafen aus St. Georgen und Bösing, Báthory, Kollonich, Keglevich, Pálffy von Erdöd usw.). Der Boden gehörte nicht den ansässigen Bauern, diese mussten ihn in Pacht nehmen. In der Reformationszeit kamen neue deutsche Kolonisten wie auch kroatische Siedler hinzu. Im 18. Jahrhundert war der Marktflecken Mestečko Ratzerstorffske mehrheitlich slowakischssprachig. In einem Brief aus dem Jahr 1772 verlangt die Gemeinde, dass die Verhandlungssprache Slowakisch sein soll. 1835 wurde die evangelische Kirche gebaut (nachdem sich die evangelische Gemeinde von der Preßburger Gemeinde selbstständig gemacht hatte). 1840 bekam Ratzersdorf eine Bahnanbindung, es lag an der Strecke der Pferdebahn von Preßburg nach Tyrnau bzw. Szered. Bei der Volkszählung 1920 bekannten sich 3.738 zur slowakischen und 757 zur deutschen Nationalität. 1930 gab es im Ort 4.429 Slowaken, 758 Tschechen, 847 Deutsche, 82 Ungarn, 5 Russen, 13 Juden und 30 sonstige. 1946 wurde Račištorf nach Bratislava eingemeindet, 1948 in Rača umbenannt. Der vom Weinbau geprägte Ort wurde bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts industrialisiert, was mit dem Ausbau des Rangierbahnhofs in der Gemarkung zusammenhängt. Nach 1968 wurden neue Plattenbausiedlungen gebaut, wobei der alte Ortskern größtenteils erhalten geblieben ist. (Quellen: Webseite des Stadtteils Bratislava-Rača, Webseite der ev. Gemeinde Rača)

Varia

Mit den deutschen Wurzeln des Bratislavaer Stadtteils Rača haben sich im Rahmen des Projekts „Deutsche Geschichte Preßburgs“ die Schüler Juraj, Gregor und Kiko von der Deutschen Schule Bratislava beschäftigt.

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Auszüge aus historischen Presseveröffentlichungen

1893 wurde in der Gemarkung von Ratzersdorf der neue, bis heute verwendete Rangierbahnhof gebaut. Aus den Artikeln in der Preßburger Zeitung ist zu erfahren, dass die Stadt mit der Standortwahl zunächst nicht zufrieden war, da der neue Rangierbahnhof erst hinter der Dynamitfabrik, sprich zu weit von der eigentlichen Stadt, geplant war. Im März 1893 berichtete die Zeitung über den „voreiligen“ Beschluss des Ministeriums. Im September 1883 war der Bahnhof bereits im Bau begriffen, hierzu ein Artikel vom 24.098.1893 (difmoe.eu): Der neue Preßburger Rangirbahnhof nächst Ratzersdorf wurde in jenem Dreieck angelegt, welches sich zwischen Preßburg, Weinern und Ratzersdorf befindet und von allen drei Seiten durch Schienenstränge abgegrenzt wird. Wenn wir von Preßburg auf der Budapester Hauptlinie bis zur Station Schienweg, nächst der Dynamitfabrik, fahren, kommen wir an jene Stelle, wo sich von der Hauptlinie die Linie der Waagthalbahn gegen Ratzersdorf abzweigt. Dies ist der eine Punkt des vorgenannten Dreiecks. Die beiden anderen Punkte sind die Stationen Ratzersorf und Weinern, welche durch eine Schleife ihrerseits verbunden sind. (…) Der eigentliche Rangirbahnhof, welcher aus einer weiten Fläche besteht, auf welcher nicht weniger als siebenundzwanzig Geleise gelegt werden, ist sehr groß. (…) Das Interessanteste bei dem neuen Rangirbahnhof ist unstreitig das System, nach welchem er gebaut wird. Das Vorbild stammt aus England, dem klassischen Musterstaate des Verkehrs. Die Rangirung geschieht nämlich nicht auf dem Bahnhofe selbst, sondern gleich zu Beginn bei der Einfahrt. Die Zugangsdämme werden nämlich so gebaut, daß ein gewisses Gefälle vorhanden ist. Die ankommenden Lastzüge werden auf diese Rutschbahn geführt, die Waggons einzeln abgekoppelt, und dann läßt man sie, getrieben von der eigenen Schwere, weiter laufen. (…) Gegenwärtig werden bereits die Schienengeleise auf dem Bahnhofe gelegt, die Oberbauten wie das Stationsgebäude, der Wasserthurm zur Speisung der Lokomotive, die Wächterhäuser und die Beamten-Wohnhäuser sind beinahe fertig, die Rutschbahn gegen Weinern ist hergestellt und nur der hohe Damm von der Dynamitfabrik gegen den Bahnhof ist das einzige Objekt, welches einigermaße zurückgeblieben ist.

Am 15.08.1925 erschien in der „Unterhaltungsbeilage“ der Preßburger Zeitung ein Text über das damalige Ratzersdorf (difmoe.eu): Infolge der vielen Mischehen verliert das deutsche Sprachgebiet in Ratzersdorf immer mehr an Zahl seiner Anhänger. Obwohl eine deutsche Schule in Ratzersdorf ist, sprechen die Schüler außerhalb der Schule meist die slowakische Sprache. In der evangelischen Schule wurde bis 1945 auf Deutsch unterrichtet. Der Text endet mit dieser Betrachtung: Die Dorfstraße herauf kommt eine alte Frau mit einer Drehorgel am Rücken. So wandert sie von Haus zu Haus und dreht in den Höfen ihre Orgel. Wer sich dann etwa Wahrsagen lassen will, den wird sie auch bedienen können. Auf der Orgel sietzt ein weißer Papagei und in einem abgegriffenen Holzkästchen sind kleine Briefchen eingereiht. Für 50 Heller läßt die Frau den Papagei ein Planetenbrieflein ziehen. Slowakisch, deutsch, ungarisch, ganz nach Wunsch kann das kommende Glück gezogen werden.

pressburg/ratzersorf.txt · Zuletzt geändert: 2025/01/19 12:35 von redaktion