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Informations- und Wissensdatenbank über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der deutschen Minderheit in der Slowakei

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pressburg:engerau

Engerau (Petržalka)

Petržalka (Engerau, Ligetfalu) ist der mit über 100.000 Einwohnern bevölkerungsreichste Stadtteil von Bratislava (eingemeindet 1946). Bis auf wenige Ausnahmen besteht es seit den 1970er Jahren aus Plattenbauten.

Geschichte

pressburg:engerau-auspic_juraj-gigac.jpgErste schriftliche Erwähnungen über Siedlungen auf dem Gebiet des heutigen Petržalka sind aus dem 13. Jahrhundert bekannt [Wlocendorf (1222), Mogorscigel (1225), Flycendorf (1233)]. Im 18. und 19. Jahrhundert wird die Siedlung am südlichen Ufer der Donau in der damaligen Presse Audörfl, Audörfchen und Engerau genannt und meistens in Verbindung mit Überschwemmung erwähnt. Nach dem Bau der Pontonbrücke (1825) und später der stabilen Franz-Joseph-Brücke (1890) entwickelte sich das südliche Ufer mit dem für die Öffentlichkeit zugänglichen Aupark und den Gaststätten Leberfinger und Aucafé sowie dem Theater Arena zu einem Naherholungsgebiet. Bei der Entstehung der Tschechoslowakei sollte die tschechoslowakisch-ungarische Grenze in der Donauflussmitte verlaufen. Im August 1919 wurde das Gebiet überraschend von den tschechoslowakischen Soldaten besetzt, um einen sicheren Brückenkopf für die slowakische Hauptstadt zu etablieren. Die selbstständige Gemeinde wuchs rasant. Noch im 19. Jahrhundert entstanden hier auch zwei große Industriebetriebe: Chemiefabrik Semperit und Emaille-Fabrik Sphinx. Während hier 1866 in 103 Häusern 594 Einwohner lebten, waren es 1920 bereits über 5.000 und vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 15.000. Bis zur Gründung der Tschechoslowakei war die Mehrheit der Bewohner deutsch, in den späten 1930ern war die Mehrheit bereits slowakisch, 22 % bekannten sich zur deutschen Volkszugehörigkeit.

Als Folge des Münchner Abkommens vom 29.09.1938 wurde das „größtes Dorf der Slowakei“ genannte Petržalka neben Devín dem Deutschen Reich zugesprochen. Unter der Bezeichnung Engerau an der Donau wurde es dem Reichsgau Niederdonau zugeschlagen. Am 25. Oktober 1938 wurde Engerau von Adolf Hitler besucht, der sich am Donauufer vor dem Hintergrund der Stadt Bratislava ablichten ließ. 1944 wurde hier ein Konzentrationslager für jüdische Männer aus Ungarn errichtet. Nach der Befreiung 1945 wurden 460 Leichen gefunden. In diesem Zusammenhang fanden in Österreich zwischen 1945 und 1954 die sog. Engerauer Prozesse statt. (Quelle)

pressburg:engerau-arena_juraj-gigac.jpg Dank der Lage am Donauufer gegenüber Bratislava sowie an der Grenze zu Österreich und Ungarn war und ist Petržalka ein wichtiger Kontenpunkt für den Verkehr. Die 1891 eröffnete Franz-Joseph-Brücke diente auch dem Schienenverkehr. Am 9. November 1891 wurde die bis heute bestehende Eisenbahnstrecke Preßburg-Szombathely (Steinamanger, Ungarn) eröffnet. Es ist eine ab Bf. Bratislava-Petržalka eingleisige elektrifizierte Strecke. Zwischen 2009 und 2017 gänzlich ohne Personenverkehr, ab 2017 verkehren Dieseltriebwagen nach Rajka bzw. Hegyeshalom. Am m 16. Dezember 1897 wurde die Bahnstrecke Preßburg-Sopron (Ödenburg, Ungarn) eröffnet, die als Zweiglinie der österreichischen Ostbahn Wien mit Bratislava verbindet. Der Personenverkehr wurde 1951 eingestellt und 1998 wieder eingeführt. 1972 wurde die zweite Donaubrücke (Most SNP) in Bratislava fertigstellt. Zeitgleich begann der Abriss des alten „dörflichen“ Petržalka, das größtenteils durch Plattenbau ersetzt wurde. Mittlerweile gibt es auf dem Gebiet von Bratislava 6 Donaubrücken.

Varia

Auf die zum Teil deutsche Vergangenheit von Petržalka haben die Teilnehmer*innen des Projekts „Deutsche Geschichte Preßburgs“ die Schüler Juraj, Gregor und Kiko von der Deutschen Schule Bratislava aufmerksam gemacht. Auf dem in den 1930er Jahren gegründeten Friedhof von Petržalka befinden sich bis heute vereinzelt deutschsprachige Grabsteine.

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Auszüge aus historischen Presseveröffentlichungen

Am 16.05.1930 schreibt das Neue Preßburger Tagblatt (difmoe.eu): Weg mit der Brückenmaut! Engerau hat wirklich ein Pech. Die einstmals kleine Ortschaft am jenseitigen Donauufer, kaum einige Minuten von Preßburg entfernt, hat in der letzten Zeit eine Entwicklung genommen, wie sie wohl sonst keine zweite Ortschaft in der Tschechoslowakei zu verzeichnen hat, und es ist auch wieder der Versuch unternommen worden, Engerau in die Stadt Preßburg einzugemeinden. Engerau liegt knapp an der Grenze, ist also von der einen Seite durch Grenze, von der anderen durch die Donau beengt. Die Engerauer Bevölkerung befindet sich in einer sehr unangenehmen Lage. Sie kann ihre Produkte weder nach Österreich verkaufen, das sie dort infolge des Zolles nicht konkurrenzfähig ist, sie hat aber auch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn sie dieselben in Preßburg absetzen will. Der Engerauer muss nicht nur alle Steuern und Abgaben genau so leisten, wie jeder andere, er wird auch noch durch Brückenmaut belastet.

Die Brückenmaut wurde schließlich am 01.01.1934 aufgehoben. Im Neuen Preßburger Blatt findet man hierzu nähere Informationen (difmoe.eu): Das größte Industrieunternehmen in der Nachbargemeinde Engerau, die Matadorwerke, hat sich schriftlich an die Stadtgemeinde Preßburg mit dem Ersuchen gewendet, der Forderung des Finanzministeriums bezüglich der Übernahme der Brückenbeleuchtung keine Schwierigkeiten zu bereiten, weil die Aufhebung der Brückenmaut im allgemeinen Interesse der gesamten Bevölkerung von Engerau und Preßburg liegt. Die Stadt Preßburg musste fortan neben der Beleuchtung auch die Reinigung der Brücke finanzieren.

Mehrere Artikel aus dem Neuen Preßburger Tagblatt verraten, dass in Petržalka/Engerau der 1930er Jahre zwischen der slowakischen und der deutschen Bevölkerung ein Ringen um die Verwendung der jeweiligen Sprachen in der Verwaltung und den Schulen tobte (difmoe.eu 25.06.1930): Die deutschen Gemeindevertreter Engeraus verfolgen seit Jahren die Verhältnisse an der staatlichen Volksschule in Engerau, die den Unterricht in deutschen Klassen zum Schaden der Kinder ungünstig beeinflussen. Um diese ungünstigen Verhältnisse zu verbessern, wurde vor Schulschluß eine Aktion eingeleitet, um eine eigene deutsche staatliche Schule zu erwirken.

Am 05.07.1930 berichtet das Neue Preßburger Tagblat (difmoe.eu): In der Nachbargemeinde Engerau wurden insgesamt 1386 Kinder , und zwar 684 Mädchen und 672 Knaben für das Schuljahr 1930/31 eingeschrieben. In die ersten Klassen müssen 386 Kinder aufgenommen werden. Unter den Kindern befanden sich 503 deutsche und 823 slowakische. Allerdings beziehen sich diese Daten nur auf die staatliche Volksschule, während das Ergebnis in die evangelische Volkschule, die bekanntlich deutsch ist, noch nicht bekannt ist.

Am 21.03.1931 informiert das Neue Preßburger Tagblatt über eine wichtige Gemeindesitzung im Ort (difmoe.eu): Wir haben bereits darüber berichtet, daß Pläne verwirklicht werden sollen, die für die Zukunft der Nachbargemeinde Engerau von großer Bedeutung sind. Vor allem sei auf den projektierten Dammbau hingewiesen, der, unterhalb der Brücke beginnen und sich bis zu ungarischen Grenze dahinziehend, das Inundationsgebiet und die dortigen Siedlungen vor dem Hochwasser schützen soll. Mit dem Dammbau wäre eine Kanalisations- und Entwässerungsanlage sowie der Bau einer Wasserleitung verbunden, alles Pläne, deren Verwirklichung einen modernen Aufschwung der Gemeinde Engerau herbeiführen würde. Es wurde aber auch die Sprachenproblematik besprochen: ...es wurde in der letzten Sitzung zum Beschluß erhoben, daß die Verhandlungssprache die slowakische sein solle. Es ist dies ein sehr merkwürdiger Beschluß, denn da das Ergebnis der Volkszählung in engerau noch nicht amtlich mitgeteilt wurde, so ist auf Grund der Volkszählung im Jahre 1920 die deutsche Bevölkerung in Engerau in der Mehrheit und die Verhandlungssprache in der Gemeinde als Verwaltungskörper hat nach den gesetzlichen Bestimmungen die deutsche zu sein.

Am 29.10.1938 berichtet das Blatt der Zipser Deutschen, die Karpathen-Post (difmoe.eu): Dienstag, den 25. Oktober 1938. (…) Reichskanzler Hitler traf um dreiviertel 10 Uhr vormittags überraschend in Engerau ein, fuhr mit seiner Begleitung die Donau entlang, betrachtete das Panorama von Preßburg und empfing dann auf dem Rathaus zu Engerau eine Reihe von Abordnungen. In Preßburg wurde der besuch des Reichskanzlers erst nachträglich bekannt.

pressburg/engerau.txt · Zuletzt geändert: 2025/01/15 11:14 von redaktion